Warum ich so ungeheuer gelassen und souverän bin
„Schlafen Sie einfach mal eine Nacht drüber, dann geht Ihnen die Präsentation ganz locker von der Hand.“ Das hat der Coach vor wenigen Stunden zu mir gesagt. Jetzt sitze ich hier, alleine im Hotelzimmer.
Sie müssen wissen: Ich hatte mich nach vielen Jahren mal wieder für ein zweitägiges Seminar angemeldet. Ich dachte, es wäre an der Zeit – und weil es vor allem meine Ungeduld ist, die mir viel zu oft das Leben schwer macht, hatte ich mir folgerichtig ein Seminar mit dem Titel „Mehr Gelassenheit im Beruf“ ausgesucht.
Ja, und deshalb muss ich bis morgen eine Präsentation zu einem mir zugeteilten Thema ausarbeiten, das da lautet: „Warum ich heute so ungeheuer gelassen und souverän bin.“
Der Clou dabei: Die Präsentation soll witzig sein. So will es der Coach.
„Warum ich heute so ungeheuer gelassen und souverän bin.“ Witzig dargeboten. Journalisten nennen das „Glosse“. Dazu dröhnen in meinem Kleinhirn die in Stein gemeißelten Präsentations-Gesetze: Fasse Dich kurz!
Komm endlich zum Punkt!
Einen Moment, gleich passiert es.
In einer Präsentation haben Ausschweifungen keinen Platz!
Das weiß doch jeder, oder?
Wer klar schreibt, der denkt auch klar!
Alles klar?
Vorhin noch, als die Inspiration den Frottee-Schlafanzug übergestreift und die Kreativität das aufreizende Abendkleid abgelegt hatte, war sie da: die Idee! Es war kein primitiver Gedanke, es war eine Erscheinung!
Eine Präsentation, die nur einmal in den mir absolut unergründlichen Gehirnwindungen geboren wird. Eine Idee, die den Ruhm (und den Rum) über mehrere Generationen sichert; eine Idee also, die den angestrebten Ruhe-Rum-Ruhm-Platz in der Rente schon heute rechtens sein lässt: Originell und anregend am Anfang, erheiternd und überraschend im Mittelteil, der wiederum dramaturgisch ungewöhnlich, aber spannend einmündet in die Schlusspointe, die man nur noch als Sensation bezeichnen kann.
Jetzt ist sie weg, die Idee. Und kommt nicht wieder. Trotz intensiver Bemühungen. Alle Versuche, den Geniestreich meines Lebens wieder in die Gehirnrinde zu locken, scheitern. Ein paar Schritte durchs Hotelzimmer helfen wenig. Ebenso zwecklos sind die fünf Meditationsübungen der Tibeter und eine eilig durchgeführte Bachblütentherapie.
Ich habe sogar den Zimmerservice damit überrascht, dass ich den Müll zur Tonne gebracht habe, weil der in größter Verzweiflung konsultierte, sehr teure und sehr virtuelle Motivationspsychologe empfohlen hatte, hinderlichen Ballast auch ganz real zu entfernen.
„Warum ich heute so ungeheuer gelassen und souverän bin.“ Langsam wird das Zeitfenster eng. Schnell noch ein kleines Bierchen. Die nette Dame unten an der Hotel-Bar hat mir auf Nachfrage sofort bestätigt, dass ich schon aus fünf Metern Entfernung den Eindruck einer absolut gelassenen Persönlichkeit mache.
Leider wollte die Dame nicht als meine Muse mit aufs Zimmer kommen. Ich kenne das. Als gelassener und souveräner Mensch ist man oft einsam. Die Mini-Bar ist gerade mein bester Freund.
Apropos Freund – ich rufe Markus an, meinen besten Freund. Der ist um diese Zeit zwar nicht mehr wach, aber vor vielen Jahren hatten wir uns geschworen, in Krisen immer füreinander da zu sein.
Überraschenderweise interpretieren wir beide den Begriff „Krisen“ offensichtlich unterschiedlich. Und eine Präsentation gehört seiner Meinung nach Definition nicht dazu. Da er aber schon mal wach ist, könne er sich mein Problem – allerdings mit dem ungehalten-liebevollen Hinweis, dass ich ein „riesen Depp“ und ein „Kasperlkopf, ein selbergeschnitzter“ bin – auch anhören.
Als ich ihm jedoch das Thema meines Vortrags verrate, bricht er in schallendes Gelächter aus: „Du gelassen und souverän? Vergiss es!“ Und mit einem „Such Dir ein anderes Thema aus“ legt er einfach auf. Das regt mich kurz ungeheuer auf und bringt mich gleich darauf der Lösung näher. Ich werde morgen dem Coach mal so richtig meine Meinung geigen… und dabei vielleicht nicht völlig gelassen, aber sehr souverän sein.