Ich bin stark! So stark!
Laut diversen Statistiken mögen die allermeisten Menschen nicht vor Publikum sprechen. Sie haben sogar eine Heidenangst davor. Erst kürzlich habe ich erlebt, wie ein ansonsten großmäuliger Abteilungsleiter sich klein und zittrig durch einen Vortrag stotterte
Abgesehen davon gehöre ich auch zu den allermeisten Menschen und bin sehr froh über das Programm des 33. Deutschen Assistentinnen- und Sekretärinnen-Tages, auf dem Auftritt, Rhetorik und Argumentation zu den Kernthemen gehören. Gut so. Eigentlich.
Mein Chef nämlich hat das Programm auch gelesen, gelächelt und großmütig gemeint: „Das ist ja prima, da können Sie als Übung vorab schon mal morgen beim AL-Meeting eine kleine Präsentation zu unserer geplanten Umorganisation der internen Kommunikation halten. Sie wissen ja ungefähr, was ich denke und will.“
Weiß ich das?????????????
Meinen entgeisterten Gesichtsausdruck kommentierte mein Chef nur: „Das schaffen Sie schon. Halten Sie sich kurz und vergessen Sie den Humor nicht, dann wird das was.“
Was wird dann was???????
Dann war mein Chef weg – und ich alleine. Erst noch im Büro, dann zuhause am PC. Auf der Heimfahrt war sie plötzlich da gewesen: die Idee. Für eine Präsentation! Originell und anregend am Anfang, erheiternd und überraschend im Mittelteil, der dramaturgisch ungewöhnlich, aber spannend in die Schlusspointe einmündete, die man nur noch als Sensation bezeichnen konnte.
Dann war sie weg, die Idee. Und kam nicht wieder. Trotz intensiver Bemühungen. Alle Versuche, den Geniestreich meines Lebens wieder in die Gehirnrinde zu locken, scheiterten. Ein paar Schritte durch das Wohnzimmer halfen ebenso wenig wie der ausgedehnte Spaziergang um den Block. Zweck- und wirkungslos waren auch die fünf Meditationsübungen der Tibeter und eine eilig durchgeführte Bachblütentherapie.
Und der Nachbarsjunge, der an der Haustür seine Freundin knutschte, hat nicht schlecht gestaunt, als ich um 2 Uhr morgens den Müll zur Tonne brachte, weil ich mal gelesen hatte, dass man in solchen Situationen Ballast auch ganz real entfernen solle. Der Müllmann wiederum bestätigte mir drei Stunden später auf Nachfrage, dass ich trotz Schlafmantel durchaus eine Person sei, die Stärke und Kompetenz ausstrahle.
Ich gebe zu: Mit ruiniertem Nervenkostüm wollte ich am Morgen meinen Chef darum bitten, mir die notdürftig zusammen geschusterte Präsentation zu erlassen. Als ich gerade den Mund aufmachte, fuhr er jedoch dazwischen: „Stornieren Sie bitte heute alle Termine. Ich muss unerwartet vor dem Aufsichtsrat eine Präsentation halten.“
Sagte ich schon, dass mein Chef auch zu den eingangs erwähnten, allermeisten Menschen gehört? Doch jetzt habe ich tiefstes Verständnis für ihn …. und auch ein ganz klein wenig Mitleid.