Moderne Menschen
Was ich aus den Bestsellerlisten einschlägiger Magazine gelernt habe: Jede Generation ist so typisch, dass es sich über sie zu schreiben lohnt. Blöd nur, dass mit jeder Charakterisierung zugleich eine Handlungsaufforderung verbunden ist. Null-Bock-, Golf-, Internet- oder Best Ager-Generation, keiner kommt der für ihn reservierten Schublade aus. Ein 17jähriger sollte ebenso wissen, was von ihm verlangt wird, wie ein 80jähriger. Oder wie einer in der Mitte seines Lebens (so zwischen 40 und 60), der so gerne für sich in Anspruch nimmt, ein moderner Mensch zu sein. Nicht mehr grün hinter den Ohren, aber auch noch nicht gänzlich weiß in der Kopf- und Körperbehaarung (den notorischen Besserwissern sei gleich gesagt: Ausnahmen bestätigen die Regel.).
Der moderne Mensch jedenfalls steckt in einem Dilemma: Er darf sich von seiner „Generation“ nicht ausschließen, andererseits fordert das Stigma der Jahrgänge 1960 bis 1970 anders zu sein als die anderen. In der Tat hat diese Erkenntnis eine dialektische Tiefe, die ich bis dato noch nicht aufzudröseln vermochte, weil: Wenn alle anders als die anderen sind, sind alle gleich. Oder nicht?
ICH ERFINDE MICH NEU. Wer von den modernen Menschen, zu denen ich mich gerne zähle, hat in seinem Bekanntenkreis nicht schon diesen Satz gehört? Es selbst zu tun, kann anstrengend werden, denn schnell ist man bei: Ich erfinde mich immer wieder neu. Ich erfinde mich immer schneller immer wieder neu ….
Ich möchte nicht neu sein. Allein schon, weil ich glaube, dass bei dem ganzen Erfinden ich mich irgendwann mal nicht mehr finde.
Meine zunehmende Verstörtheit beim Brüten über diesen Fragen ist nicht unbemerkt geblieben. Meine Frau diagnostizierte bei uns beiden (meine Frau denkt immer im „WIR“) sofort „Stress“ und schleppte mich in eine Wohlfühl-Bade-Sauna-Landschaft gigantischen Ausmaßes. Dort fand ich schnell einen guten Platz an der Pool-Paar, an der ich meiner Frau großzügig einen Cocktail spendierte. Eigentlich sollte jetzt alles gut sein …
… wenn nicht um mich herum sich Pärchen ungewöhnlich vergnügten. Nein, DAS taten sie nicht. Vielmehr lag je nach Pärchen die Frau oder der Mann wie in Trance flach auf dem Wasser, während er oder sie vom Partner behutsam gehalten wurde. „Pärchen-Therapie, sich fallen lassen, Vertrauen gewinnen bla bla bla“, ätzte meine Frau angesichts des Treibens und nippte genüsslich an ihrem Cocktail. Meine vorsichtige Frage erstickte sie sofort im Keim: „Vergiss es!“
Ich gebe es zu: Meine kleine, gemeine Seele hatte den unbändigen Wunsch zum Vorschein gebracht, dass ich zärtlich meine Frau auf Armen halte … und dann tauche.
Wie ich jetzt vom Zwang, anders sein zu wollen, zur Paartherapie im Wasser gekommen bin? Keine Ahnung – und vielleicht ist genau dies die Antwort auf die Frage nach dem modernen Menschen. Eines aber weiß ich sicher: Wir sollten uns viel häufiger tauchen.
c/o Bernhard Krebs