Auf der untersten Bank
Vorgestern war ich in der Sauna. Nach dem Sport. Nicht aus freiem Willen, sondern weil es sich so gehört. Genau so wie davor die anderthalb Stunden Badminton. Ich kann nämlich der seltsamsten Erscheinung moderner Unternehmenskultur nicht entfliehen: Dem gemeinsamen wöchentlichen Sport mit Kolleginnen und Kollegen — inklusive anschließendem Saunabesuch.
Ich bin nicht scharf darauf, meine Kolleginnen und Kollegen einmal wöchentlich nackt zu sehen. Das liegt auch daran, dass die meisten von ihnen Profis in diesem sehr, sehr heißen Raum sind, ich dagegen in vielen Jahren den Sprung aus der Sauna-Amateurliga nicht geschafft habe.
Man erkennt mich daran, dass ich der untrainierte Kerl auf der untersten Bank bin. Dort verstecke ich durch die entsprechende Körperhaltung notdürftig meinen stattlichen und bleichen Bauch, dabei sittsam die haarigen Beine geschlossen — was die Spötter unter meinen allesamt Solarium gebräunten Kollegen schon eine Verklemmtheit meinerseits vermuten ließ.
Diese Spötter liegen natürlich in der obersten Reihe und bevorzugen es, all die Öffnungen am durchtrainierten Körper wie selbstverständlich zu präsentieren. Sie liegen auf großen, sehr großen Sauna-Badelaken, während ich wieder nur ein definitiv zu kleines Handtuch dabei habe. Jedenfalls bin ich dadurch die ganze Saunarunde hindurch, also genau sechs Minuten, damit beschäftigt auf 30 mal 40 Zentimeter in der Höhe räumlich meinen Körper unterzubringen. Nur kein Tropfen Schweiß auf das Holz, sonst gibt es Ärger …
… und zwar mit dem selbsternannten Sauna-Chef (meist männlich und wenn weiblich, dann sehr männlich), der nach einem mir nicht nachvollziehbaren Sauna-Gesetz in jeder Sauna sitzt. Stundenlang. Tagelang. Ein Leben lang.
Der Sauna-Chef besitzt die Insignien der Sauna-Macht: Den Wasserzuber, die Schöpfkelle und eine ätherische, stark ätzende China-Pfefferminz-Tiger-Ölmischung. Und wenn es dann Zeit ist für den Aufguss, ist es für mich schon zu spät, denn jetzt darf keiner mehr raus!
Mit brennenden Augen und röchelnder Lunge schwinden meine Abwehrkräfte — und ich frage mich, was denn geschehe, wenn just in diesem Moment ein fanatischer, bleicher Sauna-Gegner aus dem Nordosten von Alaska die Tür von außen verschließen und die Temperatur erhöhen würde?
Schon fühle ich, wie der Schweiß in Strömen an meinem Körper herab rinnt und vom Handtuch nicht mehr aufgefangen werden kann. Die Organe dringen osmotisch durch die Haut, die Knochen verlieren in der Hitze ihre Form. Mein Gehirn nimmt, bevor es sich mit der Restflüssigkeit verbindet, gerade noch wahr, wie ich elendig verrecke und als große undefinierbare Masse wiedergeboren werde …
Nächste Woche gehe ich wieder in die Sauna. Nach dem Sport. Darauf freuen tue ich mich nicht.
c/o Bernhard Krebs