In der Elternsprechstunde
Meine Frau und Mutter meiner Kinder sagte: „Diesmal bist du dran. Es wird Zeit, dass du dich auch einmal darum kümmerst.“ Allein die Tatsache, dass sie darauf verzichtete, den Befehl in eine Frage zu verpacken (was letztendlich auch nichts an meiner Folgsamkeit geändert hätte), zeigte ungeschönt ihre fehlende Verhandlungsbereitschaft an, was bedeutete: Ich durfte diesmal zum Elternsprechtag meines ältesten Sohnes.
Eine Erinnerung: Ich war 17 Jahre alt, als mein Vater nach einigen Jahren mal wieder in den Elternsprechtag ging. Als er nach Hause kam, erhielt ich die letzte Ohrfeige meines Lebens. Es waren nicht die Noten, es war mein angeblich respektloses Verhalten.
Meine Frau, die Ordnung liebt, hatte den Abend akribisch für mich vorbereitet. Im 15 Minuten-Takt reiht sich Englisch an Mathematik an Kunst an Biologie an Deutsch an … allein der Blick auf den ausgedruckten Zettel macht mich bereits schwindelig.
Elternsprechtage erinnern ein wenig an Therapiesitzungen; man hat immer das Gefühl, zu viel von sich selbst zu verraten. Das eigene Kind, seine Noten und sein Verhalten, sind die grausame Lupe auf das elterliche Versagen.
Die Hauptfrage, die sich mir stellt: Wie bringe ich der Lehrerin bzw. dem Lehrer bei, dass mein Sohn in jeder Hinsicht der Beste ist. Wie gewährleiste ich, dass sie/er meiner bescheidenen Äußerung „Er ist halt guter Durchschnitt“ vehement mit dem Hinweis auf seine überdurchschnittlichen Fähigkeiten widerspricht.
Bereits beim ersten Lehrer die Ernüchterung. So der sportliche Kumpel-Typ mit hochgekrempelten Ärmeln, den mein Sohn ziemlich lässig findet. Dabei ist doch nur einer lässig – und das ist sein Vater! Jedenfalls beginnt dieser Möchtegern-Lehrer unsere „Stunde“ mit den Worten: „Sie heißen Krebs? Und Ihr Sohn N.? Da muss ich nachschauen.“ Schon hat er es sich gründlich bei mir verscherzt (oder verschissen, wie der Bayer sagt). Meinen Sohn kennt man doch, er ist schließlich der Beste!
Der Lehrer lenkt mit Blick auf seine Akten ein: „Ach so, genau. Der N. Natürlich kenne ich ihn.“ Ich bleibe misstrauisch, zumal sich die nachfolgende Konversation auf ein vom Lehrer gemurmeltes „Es passt“ und ein von mir gebrummtes „Dann ist es ja gut“ beschränkt. Mehr passiert nicht. Kein Jubel, auch keine Kritik an aufmüpfigem Verhalten (auf das ich auch stolz wäre) – ich bin enttäuscht.
Die nächsten Lehrer tun sich ebenfalls schwer mit intelligenten Beiträgen. Ich mir auch. Sie kennen die Noten, ich auch. Und da wenig Handlungsbedarf besteht, frage ich halt nach dem Sozialverhalten. Da fällt dann schon auf, dass mein Sohn in der Schule und daheim mitunter zwei verschiedene Menschen sind: Der Rotzlöffel von daheim scheint sich täglich beim ersten Gong in einen unauffälligen Schüler zu verwandeln. Wenn ich das seiner Mutter erzähle!!!
Die perfekte Termin-Organisation meiner Frau in Kombination mit fehlenden Themen führen dazu, dass ich zum Schluss noch Zeit habe. Ich gehe zur Kunstlehrerin und auch noch zum Sportlehrer – beide zeigen sich richtiggehend erschrocken, dass ein Vater bei ihnen vorbei schaut (leider habe ich es zur Religionslehrerin nicht mehr geschafft). Der anfänglich verstörte „Was will denn der“-Gesichtsausdruck weicht einem entzückten „Endlich ist einer da“-Leuchten in den Augen.
Und weil ich interessiert (ich halte beide Fächer übrigens für sehr wichtig und sträflich vernachlässigt) nachfrage, beginnen sie zu erzählen. Dass mein Sohn ein guter Ballspieler sei und zeichnerisch so talentiert, dass er in beiden Fächern auf einer „Eins“ steht. Das wiederum kann ich angesichts der häuslichen Leistungen (N. spielt weder Fußball mit mir noch hat er es bei Muttertagpräsenten über ein Strichmännchen hinaus geschafft) nicht glauben – und argumentiere fleißig gegen die Notengebung von Lehrer und Lehrerin.
Ich kann überzeugen. Nur, als ich zuhause meiner Frau von meinem Argumentationserfolg berichten will, realisiere ich – noch kurz vor dem Riesenanpfiff – meine eigene Dummheit.
Es hat sich nichts geändert. Sobald ich eine Schule betrete, endet es im Fiasko. Ob früher als Schüler oder heute als Vater.
c/o Bernhard Krebs