In der Arbeit ein anerkannter Profi, aber …
Ich bin nicht sonderlich erpicht auf irgendeinen Titel. Und auch wenn auf meiner Visitenkarte inzwischen eine englische, sehr lange Berufsbezeichnung steht, bin ich mit der “Assistentin” oder “Sekretärin” ganz zufrieden, denn mein Chef und ich wissen, was wir beide und die Firma an mir haben.
Bei aller Bescheidenheit: Ich gelte als ausgewiesenes Organisationstalent, das stress-resistent selbst unter Zeitdruck nicht nur Höchstleistungen erbringt, sondern auch die richtigen Lösungen für Herausforderungen aller Art findet.
Das macht mich stolz. Eigentlich.
Denn es gibt ein Paralleluniversum namens “Familie”, in dem ich in ähnlicher Funktion agiere, allerdings mit einem völlig anderen Ergebnis.
Sicher es gibt Parallelen von Beruf und Privatleben. Zum einen gibt es hier wie dort einen, der glaubt, er ist der Chef. Und es gibt eine, die ist der Chef. Die Aufgaben sind in beiden Bereichen ähnlich komplex und umfassend, selbst die Zahl der Beteiligten lässt sich unter der privaten Berücksichtigung von Verwandten, Bekannten und Nachbarn mit der Belegschaft eines Unternehmens vergleichen.
Das war es dann aber auch schon, denn die hohe Assistenz-Kompetenz im Job trifft erbarmungslos auf die Hilflosigkeit in den heimischen vier Wänden. Und das originell klingen wollende Werbe-Filmchen vom erfolgreichen, kleinen Familienunternehmen dröhnt in meinen Ohren wie der Hohn und Spott all jener, die noch niemals versucht haben, einen störrischen Großvater zu höflichem Benehmen zu bewegen.
Selbstverständlich: Die Organisation einer Tagung samt Freizeitprogramm gehört zu meinen leichtesten Aufgaben. Dagegen ein Treffen der Verwandtschaft unfallfrei über die Bühne zu bekommen, ist allein schon wegen besagtem Großvater ein Ding der Unmöglichkeit. Lauthals und ohne Unterlass schimpft er über die quietschende Stimme von Tante Gertrud und die hypochondrische Veranlagung ihres Ehemanns Wenzel, “den Saukerl” – weil sie dabei direkt neben ihm sitzen und entsprechend reagieren, ist eine solche Veranstaltung generell eine Katastrophe.
Als Moderatorin bei Konflikten versage ich hier, obwohl ich doch kurz zuvor in der Arbeit souverän den Zwist zweier Abteilungsleiter geschlichtet habe. Und das Scheitern geht weiter: Im Büro ein Kommunikationsprofi, daheim bei den vernetzten Kindern außen vor. Hier ein Planungsexperte, dort schon vom Stundenplan der Tochter überfordert. Hier eine ideenreiche Problemlöserin, die selbst einen Termin bei der Bundeskanzlerin arrangieren könnte, dort die unterwürfige Mutter, die für einen Ganztags-Platz ihres Jüngsten vor der selbstgefälligen Kindergartenleiterin zu Kreuze kriechen würde.
Und während mein Chef in der Arbeit blind darauf vertraut, dass ich zum Geburtstag seiner Frau das passende Geschenk aussuche, wird mein Mann bei meinem Ehrentag selbst tätig – mit einer Trefferquote von unter fünf Prozent. Es gibt noch viele, viele Beispiele, die mich müde machen …
… sagte ich es schon? Ich gehe sehr gerne in die Arbeit. Jeden Tag aufs Neue.